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Mitgliederschwund im Fundraising – Das Digitale Mitglied

Wie man die Digitalisierung zu seinem Vorteil nutzt

Viele gemeinnützige Organisationen verzeichnen einen steten Mitgliederschwund. Die Generation, die sich klassisch engagier t hat, wird abgelöst durch die Generationen Y und Z, die sich vorwiegend im digitalen Raum bewegen. Wie schafft es der gemeinnützige Sektor, die Digitalisierung für seine Mitgliedergewinnung und-bindung zu nutzen – und das sogar bei älteren Menschen? Mitra Kassai von OLL INKLUSIV kennt die Antwort.

Der Aufmacher dieses Hefts hat bereits gezeigt: Die Digitalisierung ist noch nicht ausreichend in der Welt der Mitgliedschaften angekommen.

Diese ist noch sehr analog; für viele Menschen zu analog. Den eigenen Markenkern klar zu kommunizieren, und das auch mit digitalen Mitteln, ist für einige Organisationen eine Herausforderung, an der sie sich abarbeiten. Bei OLL INKLUSIV wiederum ist das gänzlich anders. Mitra Kassai, in München geboren und in Hamburg zu Hause, hat in ihrer Wahlheimat eine App entwickeln lassen, die Menschen jenseits der 60 wieder mehr in das aktive Leben einbindet. „Ich wollte diese Generation an die Hand nehmen und in eine Welt inkludieren, die immer noch uns allen gehört”, sagt die Kulturmanagerin, die neben bei noch als DJ Rita in den Clubs der Hansestadt auftritt.

Zwei Welten, die bewohnt werden sollen

Neben der analogen Welt holt die digitale als zweite Lebenswirklichkeit immer stärker auf. Diese Entwicklung ist nicht ganz neu. Wer erinnert sich noch an den Hype um „Second Life”? Das größte Metaversum bisher schaffte es, 70 Millionen Menschen anzuziehen. Online ging es 2003, vor 20 Jahren. Metaversen werden in den Medien heute als die neueste Entwicklung der digitalen Vernetzung angesehen. Das sind sie aber nicht, denn: Auch wenn sich das Internet stetig weiterentwickelt, ist es nicht wesentlich jünger als die Zielgruppe von OLL INKLUSIV. Viele Organisationen haben über die Jahre hinweg die digitale Entwicklung verschlafen und unterschätzen gleichzeitig, dass die Generation 60+ das Internet nicht zwingend als „Neuland” wahrnimmt. Sie hat den Verkauf der ersten Computer und den Siegeszug des Internets erlebt: Der Einwahlton des Modems ist der Sound ihrer besten Jahre.

„Ich wollte diese Generation an die Hand nehmen und in eine Welt inkludieren, die immer noch uns allen gehört.”

Mitra Kassai traut den Senior*innen den Umgang mit einer App zu und hat keine Angst, sie mit digitaler Technik zu konfrontieren. „Mit der OLL INKLUSIV APP möchten wir ein inspirierendes Forum rund um das Thema positives Altern schaffen”, beschreibt sie das Ziel der App. Sie schafft so ein „pulsierendes Netzwerk für Senioren und Senioritas.” Das bedeutet, dass sich den Nutzer*innen eine digitale Welt eröffnet, die von ihrer Teilhabe lebt: Sie können sich dort verabreden, zu Veranstaltungen anmelden (oder Veranstaltungen organisieren) und sich mithilfe eines digitalen Schwarzen Bretts gegenseitig helfen. „Wir haben die Menüführung intuitiv gestaltet.
Damit ist ihre Nutzung auch für die Menschen einfach, die sonst wenig mit moderner Technik zu tun haben”, sagt Mitra Kassai. Die App wird von der Organisation moderiert, aber lebt von den Menschen, die sie nutzen. Die Nutzer*innen sind zwar keine Mitglieder. Wer die App jedoch öffnet, erkennt ihr Potenzial auch für die Mitgliederbetreuung. Sie schafft eine lebendige Welt im digitalen Raum, die ihr analoges Gegenstück dadurch ebenso lebendiger macht.

Aktiv sein im Alter

Bei der App geht es ausgerechnet um die Zielgruppe, die augenscheinlich über moderne Medien am schwierigsten zu erreichen und sozial am wenigsten aktiv ist. Doch Mitra Kassai war und ist nicht der Meinung, dass die Generation, die mit Rock’n’Roll und der Studentenbewegung aufgewachsen ist, jetzt in Seniorenresidenzen belassen werden sollte. Schon seit Jahren bietet ihre Initiative Veranstaltungen für Senior*innen an: von Lesungen über gemeinsame Ausflüge in und um Hamburg bis hin zu Konzerten. Sie hat erkannt, dass die älter werdende Generation mehr kann als passiv altern. Die „Senioren und Senioritas” wissen häufiger, als man denkt, was WLAN bedeutet, was Mediatheken sind, und gehen immer noch gerne aus. Ihre Angst „das Internet zu löschen“ ist ein
Flachs der jüngeren Generation.

Auch wenn sich das Internet stetig weiterentwickelt, ist es nicht wesentlich jünger als die Zielgruppe von OLL INKLUSIV.

Sie wollen auch im Alter auf Konzerte gehen, mitsingen und tanzen – und online gehen. „HALBPENSION nennen wir die Veranstaltungen, bei denen die ältere Generation ihre Enkelinnen und Enkel mitnehmen kann. Wir bewerben sie auf unserer App. So bringen wir Jung und Alt wieder zusammen”, freut sich Mitra Kassai. Dass Senioren von dem, was um sie herum passiert, überholt werden (und jüngere Generationen sie überholen), kann man nicht pauschal sagen. Durch ihren Kontakt zu älteren
Menschen fasste Mitra Kassai den Mut, ihnen eine App an die Hand zu geben. Ein solches Projekt ist für jede Organisation eine Herausforderung, und es besteht immer die Gefahr, dass eine unzureichende Annahme durch die Zielgruppe in keinem Verhältnis zu den teuren Entwicklungskosten steht.

Das persönliche Profil als Schlüssel

„Der personalisierte Bereich ist das Herzstück der App”, erklärt Mitra Kassai. Statt dass die App einfach mit Veranstaltungsinformationen gespeist wird und dadurch sehr passiv gestaltet wäre, können die Nutzer*innen auch miteinander in Kontakt treten. Was vorher der Seniorentreff war, befindet sich nun jederzeit griffbereit im digitalen Raum. Vereinsamung im Alter ist heutzutage ein wichtiges Thema, das sogar die Politik entdeckt hat. Die Lösung dafür muss aber auch in die moderne Zeit passen. Jeder Mensch, ob jung oder alt, hat Leidenschaften und Themen, die sie oder ihn interessieren. Schön ist es, diesen Leidenschaften und Themen gemeinsam nachgehen zu können. Mitra Kassai wollte deswegen eine Plattform schaffen, die den Senior*innen die Möglichkeit bietet, sich auch unabhängig von OLL INKLUSIV zusammenzuschließen: „Sie können sich vernetzen und dann gemeinsamen Hobbys nachgehen”, erklärt sie. Und Vernetzung ist wichtig – gerade für ältere Menschen.

Freundschaften gehen, Freundschaften kommen

Alter und Einsamkeit gehen oftmals Hand in Hand. Die Menschen werden immer älter und gleichzeitig mobiler. Sie überleben so manche Freundschaft und verwitwen. In dieser Situation zu verharren ist bequem, aber traurig. „Gemeinsam statt einsam” ist das Motto von Mitra Kassai. Sind die alten sozialen Kontakte aus dem Leben verschwunden, dann müssen neue her! Sich vernetzen, verabreden, anfreunden und das Leben wieder zusammen genießen muss und soll das Ziel sein. „Ältere Menschen wollen nicht immer umsorgt werden, sondern sich selbstständig auf den Weg machen”, erklärt Kassai. „Wir bieten dafür einfach eine Plattform.

Vereinsamung im Alter ist heutzutage ein wichtiges Thema, das sogar die Politik entdeckt hat. Die Lösung dafür muss aber auch in die moderne Zeit passen.

Die App ist ein soziales Medium für Ältere.” Die Senior*innen nutzen das Netzwerk nicht, um Bilder aus dem Urlaub oder das nächste lustige Video zu teilen. Sie nutzen die digitale Welt als Einladung, um in der analogen wieder einen Schritt aufeinander zuzugehen. Und die App wird angenommen. Sie kann als Vorbild dienen für Organisationen, die Probleme damit haben, ihre Mitglieder richtig einzubinden. Zur aktiven Mitgliedschaft gehört das gemeinsame Engagement. Mitglieder lernen sich kennen, freunden sich an und werden selbst aktiv, ohne Impulse aus der Organisation zu benötigen. Das Angebot mitzumachen erweitert sich, die Gemeinschaft wird gestärkt, und die Organisation wird lebendig und kann ihren Gründungszweck stärker verfolgen. So jedenfalls kann eine Erfolgsgeschichte aussehen. Die „Senioren und Senioritas” von der Waterkant machen es uns vor.

Im Gespräch: Mitra Kassai, OLL INKLUSIV

FUNDStücke 2023-01

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